Rede zum Tag der deutschen Einheit von Günter Weinen
Rede zum Tag der deutschen Einheit am 03. Oktober 2023 im Naherholungsgebiet Übach-Palenberg
Sehr geehrte Damen und Herren,
als ich gebeten wurde, heute zum Tag der deutschen Einheit zu Ihnen zu sprechen, habe ich spontan zugesagt. Zum einen, weil mir gerade die deutsche Einheit sehr am Herzen liegt. Zum anderen, weil ich diesen Tag in unserer Stadt in meinen früheren vielfältigen Funktionen so oft miterlebt habe und der Meinung war, dazu etwas sagen zu können.
Mit diesem Tag verbinde ich drei einschneidende Erlebnisse: Das erste war im Januar 1989. Meine Frau und ich waren in Berlin. Wir sind mit der U-Bahn unter dem Osten durch abgeschottete, gespenstig erscheinende Geisterbahnhöfe hindurchgefahren und haben am Reichstag und am Brandenburger Tor auf die Mauer geschaut, an der schon so viele Deutsche gestorben waren. Mit einer Träne im Auge aber auch mit einer Portion Wut im Bauch mussten wir verarbeiten, dass so etwas in unserem Land möglich war.
Das zweite folgte schon 10 Monate später. Was wir im Januar noch nicht für möglich gehalten hatten, geschah am 09. November als die Mauer geöffnet wurde. Die Freude war groß, dass alle Deutschen endlich wieder zusammenkommen konnten.
Das dritte Erlebnis war dann die Deutsche Wiedervereinigung am 03. Oktober 1990. Das lange Ersehnte, wofür die CDU über Jahre gekämpft hatte, war endlich eingetreten. Auch wenn viele es gewünscht hatten, so war die Hoffnung darauf doch häufig ins Wanken geraten. Gleichwohl überwog im ganzen Land zunächst die Begeisterung über das endlich Erreichte. Deutschland konnte sich als eines der glücklichsten Länder der Welt fühlen.
Was danach folgte, ist hier an dieser Stelle über die Jahre aus diesem Anlass von vielen Vortragenden berichtet worden. Dem jetzt auch noch meine Erlebnisse hinzuzufügen, wäre zu viel des Guten. Daher möchte ich mich mit der Frage auseinandersetzen, was aus der Deutschen Einheit geworden ist.
Jedem in unserem Land war seinerzeit klar, dass die Einheit in allen ihren Facetten nicht von heute auf morgen würde gelingen können. Ich bin über die Jahre sehr oft in den damals noch neuen Bundesländern gewesen. Meine Damen und Herren, schon sehr früh hatte ich den Eindruck neben schönen Städten auch durchaus blühende Landschaften sehen zu können. Gleichwohl ging es manchen unserer neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern nicht schnell genug. Wir kennen alle die Berichte von Glücksjägern, die wie Heuschrecken über unsere östlichen Bundesländer gezogen sind. Die Deindustrialisierung erfolgte manchmal mit der Brechstange, obwohl trotz des schlechten Zustandes der dortigen Betriebe durchaus einige mehr erhaltenswert gewesen wären. Die Renten zwischen den ehemals getrennten Staaten haben erst kürzlich das gleiche Niveau erreicht. Das Schlagwort der Besserwessis machte die Runde. Ostdeutsche hatten nicht die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt und Spitzenpositionen wurden häufig mit Westdeutschen besetzt.
Dennoch hatte ich beim persönlichen Gespräch mit Mitmenschen aus dem Osten nie das Gefühl, dass man sich übergangen oder gar überfahren fühlte. Die meisten sagten, sie seien froh, dass sie in einem geeinten Deutschland mit allen seinen Freiheiten leben können.
Heute aber kann man den Eindruck gewinnen, dass die große Freude der 90er Jahre einem großen Frust gewichen ist. Besonders im Osten der Republik macht sich die AfD breit. Die jüngsten Umfragezahlen, in denen gar von 30 % der Stimmen die Rede ist, müssen Sorge machen. Geht ein Rechtsruck durch die Bevölkerung? Ist das nur jenseits der ehemaligen deutschen Grenze so oder müssen auch wir im Westen Angst haben, dass uns diese Entwicklung zeitverzögert erreichen wird?
Wo ist der Grund zu suchen? Sind das mit einem Male alles Nazis? Oder liegt es an Entwicklungen, die die Menschen einfach überfordern? Einige ostspezifische Gründe habe ich schon eingangs genannt. Die allein aber können es nicht sein. Neue Probleme sind nicht nur im Osten hinzugekommen. Überall im Lande kann man sie hören. Die Bürger fühlen sich allein gelassen mit Arbeitslosigkeit, Corona, den Energiekosten, dem Klimaschutz und den Umweltauflagen, der großen Zahl von Migranten, dem Ukraine-Krieg, der Clan-Kriminalität und der Bevormundung durch selbsternannte großstädtische Eliten, die vorschreiben, wie man zu denken und zu reden hat. Vor allem aber von einer Regierung, die sich im permanenten Streit befindet und auf die drängenden Fragen keine Antwort gibt. Wenn dann aber auch die Opposition keine sichere Alternative bietet, darf man sich nicht wundern, wenn Wähler zu einer nicht gewollten Partei abdriften.
Doch konkret: Ist jemand schon ein Nazi oder rechtsradikal, wenn sie oder er sich sorgt, ob in einer Kommune zu viel Migranten aufgenommen werden, wenn Personen ohne Bleiberecht nur zögerlich abgeschoben werden, wenn man von der Notwendigkeit des Klimaschutzes erst überzeugt werden muss, wenn ihr oder ihm das Gendern auf den Keks geht, man nicht mehr Indianer sagen soll, kein Zigeunerschnitzel und keinen Mohrenkopf essen darf? Sind Politiker Rechtsradikale, wenn ein Sachantrag von der ebenfalls demokratisch gewählten AfD unterstützt wird?
Nein meine Damen und Herren, Nazis und Rechtsradikale sind Leute, die den Holocaust bezweifeln, den Völkermord des 3. Reichs verharmlosen und die demokratische Grundordnung unserer Verfassung ablehnen. Leute, die sich nur Sorge um die allgemeine Entwicklung des Staates machen, sind das zweifellos nicht. Vor allem dann nicht, wenn sie ein demokratisches Mittel für ihren Protest nutzen, indem sie eine von der Mehrheit ungeliebte, aber nicht verbotene Partei wählen. Wie sonst soll man „denen da oben“ denn zeigen, dass man mit dem, was da an Politik produziert wird, überhaupt nicht einverstanden ist. Obwohl das sicher nicht unsere Zustimmung findet, ist das Motiv dahinter klar erkennbar.
Dass aber gerade diese, die vollmundig bessere Ergebnisse versprechen, auch keine Patentlösung in der Tasche haben, wird gerne übersehen. Dafür gibt es schon Beispiele. In Italien wurde Giorga Meloni mit ihrer postfaschistischen Regierung als Heilsbringerin gewählt, konnte aber bis heute die Flüchtlingsströme nach Lampedusa nicht stoppen. In Polen gerät durch die rechte Regierungsmehrheit die unabhängige Justiz in Gefahr und Ungarn entfernt sich mit Orban immer weiter von der Demokratie. Populistische Parolen allein sind also keine Lösung.
Aber was ist denn Populismus. Ist es Populismus, wenn kritisch Probleme angesprochen werden? Wenn zum Beispiel die Krankheitsfürsorge für Migranten, die nach 18 Monaten den Status jedes Pflichtversicherten erreicht, als diskussionswürdig bezeichnet wird? Ist es nicht populistisch, wenn beim Bürgergeld Gegenleistungen etwa für soziale oder kommunale Arbeit als unzumutbar dargestellt werden? Ist es nicht populistisch, wenn in unseren Medien jede Meinung oder Handlung, die nicht die Zustimmung der versammelten Journalisten findet, dem medialen Fallbeil zum Opfer fällt.
Damit will ich sagen, dass es oftmals bequem erscheint, jemand als Populist zu bezeichnen. Ob dies dann aber im Kehrschluss auch auf eigene Aussagen anwendbar ist, bleibt offen. Das alte Sprichwort „wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“ hat in diesem Zusammenhang seine Bedeutung nicht verloren.
Mit Sicherheit sind die Gründe für das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft noch weit vielschichtiger als ich das mit den wenigen Beispielen belegen konnte. Dennoch bleibe ich dabei, dass wir erst einmal innehalten und darüber nachdenken sollten, wie wir die Situation verbessern können. Das gilt für alle, für unser ganzes Land, nicht nur für den Osten. Immer nur auf andere zu zeigen, hilft nicht. Die eigenen Positionen einmal kritisch zu hinterfragen und zu versuchen andere Meinungen zu verstehen, wäre ein Ansatz. Auch einmal darüber nachzudenken, wie gut es uns in unserem Land trotz vieler Unwägbarkeiten immer noch geht. Die meisten unter uns haben keinen Krieg mehr erlebt. Die Deutsche Wiedervereinigung geschah friedlich. Deutschland gehört zu den reichsten Völkern in der Welt. Bei uns fällt kaum jemand durch das soziale Netz. Deshalb dürfen wir nicht übersehen, dass wir Zuwanderung brauchen, um all die guten Möglichkeiten, die unser Land bietet, auf Dauer auch für unsere Kinder und Enkel zu erhalten.
Es ist somit auch nicht verwunderlich, dass unser Land für viele in der Welt, denen es viel, viel schlechter geht als uns, die von Krieg, Terror und Hunger bedroht sind, als Land der Sehnsüchte gilt? Klar ist, dass wir nicht alle, die da kommen, aufnehmen können, besonders, wenn sie aus sicheren Herkunftsländern stammen. Aber allen, die politisch verfolgt werden, müssen wir gemäß Artikel 16 a unseres Grundgesetzes Asyl gewähren. In diesem Zusammenhang dürfen wir auch den Artikel 18 des Grundgesetzes nicht übersehen, in dem es u. a. heißt: „Wer das Asylrecht zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt dieses Grundrecht“.
Zusammenfassend können wir also feststellen, dass so manche Frage bereits geregelt ist und keiner weiteren aufgeregten Diskussion bedarf.
Es ist also an uns selbst, verbal abzurüsten, erst einmal nachzudenken, auf die, die anders denken offen zuzugehen und zu versuchen, Konsens zu erzielen. Damit wir weiterhin ein Land sind, das nicht nur ein menschenwürdiges, freies und gutes Leben bietet, sondern vor allem Einigkeit und Recht und Freiheit.